Fédération Alsace bilingue-Verband zweisprachiges Elsass

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Soziolinguistische Studie über die Praxis des Elsässischen und des Standarddeutschen im Elsass, eine Analyse

Konferenz der Zweisprachigkeit:  eine soziolinguistische Studie über die Praxis des Elsässischen und des Standarddeutschen im Elsass, eine Analyse

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… pour la version française, cliquez sur …  Analyse d’une étude sociolinguistique sur la pratique de l’alsacien et de l’allemand standard en Alsace  (version du 23/11/2022)

Pierre Klein

Am 28. Juni 2022 fand in Straßburg die Konferenz der Zweisprachigkeit (Assises du bilinguisme) statt. Sie wurde von der Europäischen Körperschaft Elsass (Collectivité européenne d’Alsace organisiert)[1]. Bei dieser Gelegenheit wurde eine soziolinguistische Studie über die Praxis des Elsässischen und des Standarddeutschen im Elsass vorgestellt

Erstes Ergebnis

46 % der Befragten gaben an, Elsässisch (Dialekt) sprechen zu können (« ziemlich gut » bis « sehr gut »), und 54 % können Deutsch (Standarddeutsch) sprechen. Ein schönes Ergebnis, das insbesondere zeigt, dass der Dialekt seit der letzten soziolinguistischen Studie im Jahr 2012 (43 % Dialektsprecher) nicht zurückgegangen ist. Dies wirft aber ein Problem mit der Kohärenz zwischen den beiden Studien und den der Fragestellung auf. In Wirklichkeit geht die Praxis des Dialekts seit Jahrzehnten stetig und konstant zurück. Aktivisten, die vor Ort sind, schätzen, dass weniger als 1 % der Kinder, die mit vier Jahren eingeschult werden, mit dem Dialekt vertraut gemacht wurden. Außerdem könnte man aus dem Vergleich bereits ableiten, dass die Politik zugunsten des Dialekts nicht zu einem Zuwachs an Sprechern geführt hat.

Die Studie bestätigt die Kluft zwischen den Generationen: 70 % der 55-Jährigen und Älteren sprechen (« sehr gut » oder « ziemlich gut ») Elsässisch, gegenüber 9 % (davon 3 % « sehr gut ») der unter 25-Jährigen.  Von den Dialektsprechern haben 84 % den Dialekt von ihren Eltern, 77 % von den Großeltern und 50 % über Freunde gelernt.  Und 73 % verwenden es vorrangig mit ihren Freunden (« immer », « oft », gelegentlich »). So gesehen ist Elsässisch die Sprache der Geselligkeit. Die Studie bestätigt, was bereits bekannt war. Die familiäre Weitergabe des Dialekts existiert nicht mehr. 

Wo liegt das Problem

Betrachtet man eine Grafik der elsässischen Sprachpraxis, so stellt man die Parallelität des Falles der Kenntnis der Dialekte wie der Standardsprach fest. Sowohl waren die Standardsprache als auch die Dialekte Opfer einerseits, der Art und Weise, wie man in Frankreich die so genannten Regionalsprachen behandelt und andererseits, einer zusätzlichen Schicht nämlich die des Antigermanismus, sei er allgemein Französisch oder spezifisch elsässisch. Die Dialekte haben eine doppelte Strafe erlitten, insofern, als sie als eine Sprache der unteren Klassen weit betrachtet oder eingestuft wurden, als eine nicht salonfähige Sprache.

Die erste Generation, die in ihrer Gesamtheit das Elsasserditsch nicht mehr weitergegeben hat, ist diejenige, die in den drei Nachkriegsjahrzehnten von 1945 bis 1975 eingeschult wurde. Einer der Hauptgründe, wenn nicht sogar der Hauptgrund, ist, dass sie in der Vor- und Grundschule nicht mehr in den Genuss eines Unterrichts in Standarddeutsch kamen. Dies hatte zur Folge, dass einerseits die identitätsstiftende Funktion der elsässischen Germanophonie abgewertet wurde und andererseits die Dialekte der nährenden Funktion beraubt wurden, die die kulturelle Referenzsprache, in diesem Fall das Standarddeutsch, nicht mehr hatte. 

Welche ist nun die regionale Sprache des Elsass

Die Studie zeigt auch, dass die Definition der Regionalsprache, die von den politischen Institutionen und der Schulverwaltung zurückgehalten ist, in der Bevölkerung zu wenig bekannt ist. Nur 15% der Befragten verbinden Deutsch und Elsässisch als Regionalsprache, während 73% nur Elsässisch darunter verstehen. Die Definition der Regionalsprache wurde jedoch in dem Gesetzestext zur Schaffung der europäischen Gebietskörperschaft Elsass festgeschrieben[2]. Wie und wo lernt man Deutsch (Standarddeutsch), laut den Befragten 87% in der Schule[3], 32% mithilfe von Fernsehen und Radio und 26% bei der Arbeit. Die Ergebnisse der Studie stellen eine Momentaufnahme dar. Es gab im Vorfeld keine Vorbereitung. Die Antworten sind eher Ausdruck eines Gefühls als einer gründlichen Reflexion, die aus einer breiten Debatte in der elsässischen Gesellschaft resultieren würde. Eine solche Debatte fehlt weitgehend. 

Positives Ergebnis

Eine sehr große Mehrheit der Befragten (73 %) möchte, dass mehr für die Förderung des Elsässischen getan wird. 54 % der Befragten sind « ganz und gar » dafür, dass die elsässische Sprache in der Schule unterrichtet wird, 29 % sind « eher » dafür und nur 17 % sind dagegen. Bemerkenswert ist, dass die Zahlen für Standarddeutsch noch günstiger sind: 79 % sind « voll und ganz » für den Deutschunterricht, 16 % « eher » und nur 5 % dagegen.

Wie sieht es nun aus: ist nun Elsässisch deutsch, ist deutsch elsässisch?

« Deutsch ist mir Muttersprache, weil der Dialekt, in dem ich sprachlich verwurzle Deutsch ist. » Albert Schweitzer

Was für Schweitzer selbstverständlich war, ist es heute für viele Elsässer nicht mehr. Der Hauptgrund ist im Bereich der Psycho-Soziolinguistik zu finden, d.h. in einem Antigermanismus, der sich nach der Annexion an das III. Reich durch den Mainstream, d.h. von der Denkströmung der Nachkriegsjahrzehnte, in die Köpfe eingeprägt hat. Die 1945 im Elsass ausgesprochenen Verbote der deutschen Sprache – in der Schule, in den Medien, im kulturellen Leben und in der Verwaltung – lasteten schwer auf der elsässischen Psyche und wirken aufgrund der fehlenden kollektiven Aufarbeitung der Geschichte, insbesondere der Sprach- und Kulturgeschichte des Elsass, noch immer nach.

Seit 1945 ist viel Wasser unter den Rheinbrücken geflossen. Wir leben in einer anderen Welt. Nach all dieser Zeit wäre es gut, wenn das Elsass sich endlich auf einen guten Teil seiner Vergangenheit stolz zeigen könnte. 1945 war der Anti-Germanismus allgegenwärtig, und das ist verständlich. Aber war dieser Anti-Germanismus nicht gegen einen Teil von uns selbst, gegen unser Elsässersein, gerichtet? Wenn das Elsass aus dem Konflikt von 1940-1944/1945 durch ein schlechtes Deutschland traumatisiert hervorgegangen ist, und wenn die posttraumatische Periode im Elsass jahrzehntelang durch einen primären, gegen sich selbst gerichteten Anti-Germanismus gekennzeichnet war, sollte man dann zulassen, dass dies unbegrenzt weitergeht, mit allem, was dies an Aufgeben und Verlust bedeutet? Ist es 70 Jahre später nicht an der Zeit der Resilienz? Die Zeit des « Werde der du bist », d.h. die Zeit, alle seine Fähigkeiten und Eigenschaften zu nutzen, die Zeit aufzublühen, die Zeit  das zu tun, was man tun kann. PK

[1] Diese Körperschaft wurde 2019 nach der Abschaffung des elsässischen Regionalrats und der Integration des Elsass in die Region Grand Est gegründet.

[2]   GESETZ n° 2019-816 vom 2. August 2019 über die Zuständigkeiten der Europäischen Gebietskörperschaft Elsass (1), Art. L. 3431-4.-

(Übersetzung) „Die Europäische Gebietskörperschaft Elsass gründet ein strategisches Komitee für den Unterricht des Deutschen in seiner Standardform und seinen dialektalen Varianten im Elsass, in dem das Rektorat und die betroffenen Gebietskörperschaften vertreten sind und dessen Hauptaufgaben darin bestehen, eine Strategie zur Förderung des Deutschen in seiner Standardform und seinen dialektalen Varianten zu definieren, den Unterricht zu evaluieren und die Interaktion mit der öffentlichen Kultur- und Jugendpolitik zu fördern.“

[3] Standarddeutsch wird in den Grundschulen des Elsass entweder generell im extensiven System (2 bis drei Stunden pro Woche) oder im bilingualen Zug (Halb Französisch; halb deutsch) für 17 % der Kinder unterrichtet, ohne dass ihnen immer gesagt wird, dass dies auch ihre Sprache ist. Standarddeutsch wird im Elsass wie überall in Frankreich unterrichtet, d. h. ohne Verbindung zur elsässischen Doppelkultur.